Trauma verstehen

Die Reaktion auf mein Arbeitsgebiet „Traumapädagogik“ war groß und ich entschloss mich deshalb, mehr über Trauma zu schreiben.

Anscheinend ist die Not unter den Menschen, besonders unter Jugendlichen, groß.

Ich möchte zunächst allen Betroffenen meinen Respekt und mein Mitgefühl aussprechen! Auch ich habe lange unter verschiedenen Traumata gelitten und weiß um diese Qual, die immer individuell schlimm, grauenhaft, unüberwindbar wirkt.

Die teils furchtbaren, unaussprechlichen Geschehnisse, die Betroffene erduldet haben, scheinen häufig übermenschlich. Ich frage mich oft: wie kann ein einzelner Mensch so viel ertragen, aushalten und damit leben? Deshalb bringe ich meinen Respekt zum Ausdruck.

Wenn ich nun im Folgenden mehr über Trauma schreibe, soll dies nicht wie „Besserwisser-Ratschläge“ aussehen, sondern ich möchte Betroffenen damit Mut machen. Keinesfalls kann ich aber eine Therapie ersetzen!

Dieses Bild hat ein betroffenes Mädchen auf Instagram gepostet. Sie hat aus meinem „Arbeitsbereich: Traumapädagogik“ die Symptome unterstrichen, welche auf sie zutreffen. Das hat mir gezeigt, dass sie sich verstanden gefühlt hat und mich dazu inspiriert, mehr darüber zu schreiben. An dieser Stelle (anonym) ganz herzlichen Dank an sie! J

Ich möchte hier nun ausschließlich auf Traumata eingehen, die willentlich durch andere (auch geliebte) Menschen entstanden sind, also nicht durch Naturgewalten, Unfälle etc.

Ich weiß, dass die Therapieplätze rar sind und dass es oft Jahre, manchmal sogar Jahrzehnte dauert, bis sich Betroffene Hilfe suchen. Häufig schämen sie sich und haben Schuldgefühle, weil sie glauben, dass sie Schuld an dem sind, was ihnen widerfahren ist, sie haben ungeheure Angst vor den Folgen, wenn sie z.B. Sexuellen Missbrauch Kund tun oder es ist einfach „unaussprechlich“.

Viele Täter nutzen ausgeklügelte psychologische Techniken, welche sie durch Jahre hinweg  entwickelt haben und welche den Opfern eine Aussage unmöglich machen. Sie sprechen z.B. furchtbare Drohungen aus, die ein Kind oder Jugendlichen – häufig auch einen Erwachsenen, bis in die Träume hinein derart ängstigen, dass sie Jahrzehntelang schweigen.

In dieser Zeit entsteht ein immer höherer Druck. Betroffene gehen auf ganz verschiedene Weise damit um:

  • Es kann sein, dass sie „es“ nach außen hin komplett verdrängen. Das Unterbewusstsein vergisst aber nichts! Sie spalten folglich „das betroffene Stück“ ihrer Persönlichkeit ab, weil die Seele das Geschehene nicht verarbeiten kann. Das kann schwerwiegende psychologische Folgen wie z.B. Schizophrenie oder Dissoziation.
  • Es kann sein, dass Betroffene „es“ in ihrer Persönlichkeit integriert haben, aber nicht darüber sprechen können. Selbst in liebevollen Familien geschieht es, dass Betroffene schweigen, weil ihnen z.B. gedroht wurde, sie selber oder geliebte Angehörige müssten sterben, wenn sie „es“ verraten.

In diesem Fall versucht die Seele, sich einen Weg zu bahnen, damit der immerfort steigende Druck herauskann. Ich möchte allen Betroffenen sagen, dass dieser Vorgang gesund istEs ist eine gute, natürliche Reaktion auf etwas Unnatürliches, was nicht normal verarbeitet werden kann.

Die Art, welches „Ventil“ sich ein Mensch für diesen furchtbaren Druck aussucht, ist höchst unterschiedlich und zeichnet sich meist in krankhaft aussehenden Symptomen ab. Diese können sein:

  • Ritzen
  • Suizidversuche
  • Essstörungen u.v.m.

Wenn sich die Seele also solch einen Weg nach Außen gesucht hat, erlebt der Betroffene vorübergehend Erleichterung, braucht aber den krankhaften Ausdruck immer wieder, um das Ganze auszuhalten. Das Leiden setzt sich also fort und wird zu einer Sucht, weil die Seele einen Weg sucht, das Geschehen zu verarbeiten. Betroffene leiden folglich häufig noch mehr. Ich kenne Jugendliche, die trotzdem in die Schule gehen, die trotz allem versuchen zu funktionieren … (Nicht selten fallen ihre schulischen Leistungen ab und sie bekommen deshalb noch Ärger z.B. von Lehrern)

Es ist sehr wichtig, sich immer wieder klar zu machen, dass die Seele in ihrem Kern GESUND ist, dass aber das ERLEBTE, das TRAUMA, die WUNDE, im Versuch der Verarbeitung krankhaftes Verhalten hervorbringt.

Wie kann ein Ausweg aussehen?

In einer Therapie lernen die Betroffenen unter anderem, die „Sucht-Suche der Seele“ in andere, gesunde Möglichkeiten zu bringen. Dieser Vorgang dauert oft Jahre, denn wenn ein Trauma bereits längere Zeit zurückliegt, haben sich Verhaltensmuster bis in die Struktur des Gehirns „hineingefressen“. Selbst wenn ein Betroffener nun Möglichkeiten kennen lernt, wie er mit dem Druck umgehen kann, gelingt es anfangs nicht gleich, diese umzusetzen. Deshalb möchte ich an dieser Stelle allen Betroffenen Mut machen und ihnen sagen, dass sie Geduld brauchen. Genauso, wie das Gehirn die kranken Strukturen angenommen hat, kann es auch gesunde Strukturen lernen! Es ist möglich!!! Das Gehirn ist wissenschaftlich nachgewiesen PLASTISCH.

Ich möchte es nochmal in ein Bild zusammenfassen:

Stell Dir eine wunderschöne Wiese vor: die Bienen und Schmetterlinge fliegen in der Sonne hin- und her und nippen an allen wunderbaren Blüten und Kräutern. Es ist warm, die Sonne scheint …

Dann kommt plötzlich ein Auto und fährt mitten über diese Wiese. Die Insekten flüchten, die Blüten werden plattgefahren, der Boden eingedrückt. Eine zweispurige Wüste bleibt zurück.

Vorsichtig kommen die Insekten wieder, Samen fallen in die Furchen und es keimt gerade wieder, bis das Auto erneut kommt und wieder über die Wiese fährt. Es kommt immer wieder und fährt drüber. Schließlich ist es eine ausgefahrene Straße, die dort entsteht.

Dann wird diese Wiese unter Naturschutz gestellt. Das Auto muss eine andere Straße nutzen, fährt manchmal noch heimlich über die Wiese, aber als ein Gärtner beginnt, den Boden zu lockern, damit die Blütensamen wieder hineinfallen und gedeihen können, bleibt das Auto weg. Nach und nach wachsen wieder Gräser, Kräuter und Blüten in den Furchen. Die Insekten kehren zurück und alles ist wunderschön. Nur, wer es weiß, sieht noch Spuren in dieser Wiese …

Ich möchte Euch sagen, dass ausnahmslos JEDER einen „Inneren Gärtner“ in sich trägt, der die Befugnis hat, die Wiese „unter Naturschutz“ zu stellen!

Ich werde in einer Fortsetzung zu diesem Blog über diesen „Inneren Gärtner“ schreiben.

Mein ganzes Mitgefühl ist bei den Betroffenen und ich sehe es als meine Aufgabe, aufzuklären und dabei zu helfen, auch mit einem erlittenen Trauma, Hoffnung zu schöpfen.

Wenn Du magst, schreib mir doch einfach einen Kommentar. Wenn Du Fragen stellst, oder Verbesserungsvorschläge hast, werde ich diese versuchen umzusetzen, damit wir gemeinsam anderen Betroffenen helfen können, denn es sind leider sehr, sehr viele!