Scheidungskinder

Dieses Thema betrifft sehr viele Menschen. Ca. 60% aller Ehen werden geschieden. Dazwischen befinden sich die Kinder, sog. Scheidungskinder. Auch meine drei Söhne sind Scheidungskinder und ich habe mich deshalb jahrelang mit diesem Thema auseinander gesetzt – als Mutter und auch als Heilpädagogin (hier natürlich mit anderen Kindern).
(Ein kleiner Gedankenausflug dazu)
Was wir auch vorfinden, es beruht auf der Dualität:
• Mann-Frau
• Einatmen-Ausatmen
• Tag-Nacht
• …
Deshalb glaube ich nicht, dass „allein erziehende Eltern“ von „der Schöpfung“ vorgesehen sind. Wo immer ich auch hingeschaut habe, war die Trennungssituation (fast) nie harmonisch und gut. Eine Trennung ist (fast) immer von Streit, Vorwürfen, Schuldzuweisungen und „Verletzungen“ begleitet.
Kinder lieben (fast) immer beide Eltern gleichermaßen, selbst dann, wenn ein Elternteil nicht nur positiv mit dem Kind umgegangen ist. Kinder fühlen sich oft schuldig, wenn sie bei dem einen Elternteil wohnen, weil sie das Gefühl haben, den anderen dadurch zu vernachlässigen. Sie leiden sehr, wenn sich die Eltern gegenseitig schlecht machen. Selbst, wenn dies nicht verbalisiert wird, spüren es die Kinder deutlich, was der eine vom anderen hält. Hinzu kommen dann noch neue Beziehungen der Eltern mit anderen Partnern (wenn diese nicht schon vorher existiert haben).
Das ganze „Paket“, welches Kinder vor, bei – und nach einer Trennung erdulden müssen ist ziemlich groß. Es tröstet dabei wenig, sich immer wieder zu sagen, wie viele Paare und Kinder dies schon durchgestanden haben. Das Leid bei allen Beteiligten ist immer individuell und groß.
In der Schule habe ich unzählige Kinder in den Pausen getröstet, die mir von der (bevorstehenden)Trennung ihrer Eltern berichteten und oft von ihrer Not, sich z.B. entscheiden zu müssen, zu wem sie dann ziehen sollen. Das Leid ist diesen Kindern häufig ins Gesicht geschrieben und die Auswirkungen erstrecken sich oft bis in die Schulleistungen.
Meine Beobachtung
Ich habe während jahrelanger Beobachtungen festgestellt, dass der Schmerz über die Trennung sehr tief ist und eine echte „Wunde in die Kinderseele reißt“. Er kann Kinder „aus der Bahn werfen“, ihnen „den Boden unter den Füßen wegreißen“. Erstaunlicherweise konnte ich aber auch beobachten, welche Kraft und welches Potenzial betroffenen Kindern zur Verfügung stand, mit solch einer schwierigen Situation umgehen zu lernen. Im Laufe der Monate nach einem so einschneidenden Trennungserlebnis „erholen“ sich die Kinder zusehens und finden mehr oder weniger schnell und sicher, eigene Wege damit umzugehen. Die allermeisten Kinder gehen ohne „bleibende Schäden“ aus solch einer krisenhaften Situation heraus.
Wie kommt das?
Häufig erleichtern die Eltern ihren Kindern die Situation, indem sie sich z. B. mithilfe von Beratungsstunden oder Coachings „zusammenraufen“ und es schaffen, nicht gegeneinander, sondern für ihr(e) Kind(er) da zu sein. Dies gelingt natürlich nicht sofort, aber ich habe oft erlebt, wie bemühte Eltern solch einen Weg erfolgreich gegangen sind.
Kinder sind meistens sehr anpassungsfähig und urteilen nicht. Sie arrangieren sich mit den Gegebenheiten, wie sie sind. Es dauert eine mehr oder weniger lange/kurze Zeit und dann kommen sie mit der Situation klar.
Kinder verfügen über eine außerordentliche sog. „Resilienz“ (lies auch hier über Trauma „Resilienz“). Wie wäre es sonst möglich, dass in Flüchtlingsunterkünften, selbst in Krisengebieten, stets fröhlich spielende Kinder zu sehen sind. Das Gleiche habe ich auch bei schwerkranken Kindern erlebt, die wussten, dass sie sterben würden. Sie waren meist die ersten, die sich mit einer solch schicksalhaften Situation angefreundet hatten und die sogar den Angehörigen noch Mut zusprachen oder lächelten.
Vertrauen in das Kind/die Kinder entwickeln

In meiner eigenen Trennungsgeschichte habe ich gelernt, Vertrauen in meine Kinder zu entwickeln. Je mehr ich mir Sorgen um sie machte und versuchte, sie zu trösten oder darüber hinweg zu helfen, desto schlimmer wurde es, weil der Fokus dann immer wieder bei den negativen Trennungsgefühlen war. Je mehr ich aber Vertrauen aufbauen konnte, dass sie die Situation meistern- und als starke Persönlichkeiten daraus hervorgehen würden, umso besser ging es uns damit.
Was können Eltern tun?
Wie oben schon erwähnt, können Eltern einen Weg finden, für ihre Kinder da zu sein. Damit meine ich durchaus, eine gemeinsame Gesprächskultur aufzubauen, in deren Rahmen es möglich ist, ausschließlich über die Kinder, deren Entwicklung und Wohlergehen zu sprechen. Wie schwer das ist, habe ich selber erlebt. Auch wir haben uns damals Hilfe von außen geholt. Noch heute bin ich meinem ersten Mann dankbar dafür, dass er dazu bereit war. So steinig der Weg auch war, es hat sich gelohnt! Immer wieder wird es Familienereignisse, wie Taufe, Konfirmation, Geburtstage usw. geben, wo man sich als geschiedenes Paar begegnet. Wie furchtbar wäre es, wenn solche Ereignisse wegen eines vorwurfsvollen und negativen Verhältnisses der Eltern überschattet würden?
Auch, wenn neue Partner und deren Kinder beispielsweise in Patchworkfamilien zusammenkommen, erfordert dies von allen Beteiligten eine wahre „innere Größe“, damit der Umgang von allen auf positive Weise erfolgen kann.
Wie kann das gelingen?
Das kann sehr gut gelingen und es kann sogar zum Segen des Ganzen sein, sofern wirklich ein Weg des „Miteinander im Sinne der Kinder“ gefunden werden kann.
Ich selber erlaube mir an dieser Stelle allen Lesern Mut zuzusprechen.
Ich habe mir eines Tages die Frage gestellt: „Musst Du diesen Partner richten?“ Damit meine ich das Verhalten des Kindesvaters. Die Antwort war klar: „Nein, das muss ich nicht richten! Das kann ich gar nicht richten, denn ich habe gar keine Instanz, dies zu richten!“ Diese Erkenntnis half mir sehr sog. „Inneren Frieden“ in dieser Sache zu finden. Mir ist völlig klar, dass es auch unentschuldbares Verhalten vonseiten eines Elternteils gibt. In diesen (weniger häufigen) Fällen ist es gewiss nicht möglich, als Eltern eine gemeinsame Basis zu finden. Ich glaube aber trotzdem, dass der eigene Frieden trotzdem möglich wird.
In jedem Fall daran wachsen
Es klingt vielleicht komisch, wenn ich behaupte, dass jeder Betroffene an einem Trennungserlebnis „wachsen“ kann. Wir alle haben ja „Resilienzkräfte“ in uns und häufig so viel mehr Potenzial, als wir glauben. Deshalb bin ich überzeugt davon, dass oft viel mehr möglich ist, als wir zunächst glauben.
Meine Erfahrung als Mutter und Pädagogin ist (fast) immer, dass alle Beteiligten sich weiter entwickelt haben und heile daraus hervorgegangen sind.
Ich habe mir oft gesagt: „Eine heile Kindheit kann ich meinen Söhnen nicht bieten, aber ich kann ihnen vorleben, wie ich einen Weg finde, mit den „Verletzungen“ und Schuldzuweisungen ihrem Vater gegenüber umzugehen.“
Ich bin der Überzeugung, dass eine „heile Kindheit“ nicht besser sein muss, als eine „gesunde Trennung“.